Sherry
Der Wanderer
Will man verstehen, was den einzigartigen Charakter von Sherry ausmacht, muss man zunächst einmal seine Herstellung erkunden. Denn die Spezialität aus dem Sherry-Dreieck zwischen Jerez dela Frontera, Puerto de Santa Maria und Sanlúcar de Barrameda muss während der Reifezeit beständig wandern.
Grundsätzlich ist die Palominotraube am engsten mit der Sherryherstellung verbunden und gedeiht auf den weißen Kalkböden, den Albarizas, so gut wie kaum irgendwo. Auch Pedro Jimenez, der zuckrige Weiße, ist in den Cuvées für Cream Sherry oder die süßen Varianten noch ab und zu vertreten. Sie hat inzwischen aber eher Seltenheitswert. Die Trauben werden zunächst der Gärung in großen Stahltanks zugeführt, bis die Zugabe von Weinalkohol, also das Fortifizieren, die Umwandlung von Zucker in Alkohol stoppt. So weit, so typisch.
Danach beginnt aber der eigentliche Sherry-Zauber: Zunächst einmal lagert der Wein in den Butts, den Holzfässern. Diese riesigen, meist luftdurchlässigen Fässer sind nicht ganz gefüllt, damit sich auf dem Wein eine Hefeschicht, der Flor, bilden kann. Dieser soll das Produkt nicht nur vor der weiteren Oxidation bewahren, sondern trägt auch zur typischen Aromenbildung bei. Je nach Produkt reift der Sherry aus Spanien die ganze Zeit unter dem Flor, oder dieser wird zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Absterben gebracht.
Viel wichtiger ist aber das Solera-Verfahren, die Wanderung des Sherrys durch verschiedene Fässerreihen. Dabei wird nur ein Teil aus einem Fass genommen und in das nächste Fass mit älterem Sherry umgefüllt, während das alte Fass mit jüngerem Sherry wieder aufgefüllt wird. Je nach Güte durchläuft ein Sherry gern einmal zwölf Fässer – und das in einem jahrelangen Zeitraum. Diese Mischung sorgt für eine gleichbleibende Qualität und hält die so wichtige Florhefe am Leben.
Vielfalt in Fülle
Den idealtypischen Sherry gibt es nicht. Jede Qualität und jede Abfüllung hat ihre Eigenarten, die sich jeweils an ganz eigene Geschmäcker richten. Denn mit der Auswahl der Trauben, der Eigenart der Mischungen, dem Hefeeinsatz und der Dauer des Solera-Verfahrens können die Experten aus Jerez immer wieder andere Facetten hervor kitzeln.
Für ungeübte Gaumen sind Fino-Sherrys eine erfrischend leichte Entscheidung. Sie sind besonders als Apéritif oder zu spanischen Tapas perfekt und überzeugen mit feiner Mandelnote und einem, je nach Art, herben Grundton. Ein Oloroso ist schon wesentlich komplexer und bekannt für seine Duftigkeit. Der Amontillado präsentiert sich staubtrocken und für manche Gaumen Sherry-untypisch. Naschkatzen sind natürlich beim Cream an der richtigen Stelle und sehen in der angenehmen Süße die eigentliche Stärke eines Sherry. Der Pedro Ximénez ist eine Reminiszenz an die recht selten verwandte Rebsorte und so üppig süß, dass er ein Dessert locker ersetzt.
Sherrys mit zwanzig Jahren oder mehr auf dem Buckel sind eine echte Rarität und werden dementsprechend auch als Very Old Sherry (VOS) bezeichnet. Sie sollten solo nach dem Menü getrunken werden oder sich mit stark gewürzten, aber leichten Speisen auseinandersetzen. Ansonsten ist Sherry ein beliebter Klassiker zu vielen Gelegenheiten und braucht weder große Muße noch einen trainierten Gaumen. Er braucht aber ein wenig Offenheit, um sich auf seinen individuellen Charakter einzulassen. Denn Sherry liebt die Herausforderung – nicht nur bei der Herstellung, sondern auch beim Ergebnis.